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AutorenbildArmin Grasmuck

Grünes Licht für Freilenker: Mercedes und BMW fahren hochautomatisiert und hängen sogar Tesla ab

Mercedes und BMW dürfen ab sofort Modelle verkaufen, die hochautomatisiert fahren. Damit hängen die deutschen Premiumhersteller sogar den Elektropionier Tesla ab.


Diese Nachricht wirkt elektrisierend – im doppelten Sinn. Mercedes-Benz hat die Zertifizierung für das hochautomatisierte Fahren nach SAE Level 3 durch die Behörden des US-amerikanischen Bundesstaats Kalifornien erhalten. Mercedes, ausgerechnet in Kalifornien, der Vorzeigeregion auf dem Weg in die Mobilität von morgen – und Heimat der Elektropioniere von Tesla. „Unser Mercedes-Benz Drive Pilot ist das weltweit einzige SAE-Level-3-System mit international gültiger Genehmigung“, so freute sich Markus Schäfer, Chief Technology Officer und Mitglied des Mercedes-Vorstands. „Drive Pilot nutzt eine hoch entwickelte, auf Redundanz basierende Systemarchitektur, die durch eine Vielzahl an Sensoren komfortables und sicheres hochautomatisiertes Fahren ermöglicht.“ Im US-Staat Nevada hatte der deutsche Premiumhersteller bereits zu Jahresbeginn die Erlaubnis auf Level-3-Niveau erhalten.


Nur wenige Tage nach der gehaltvollen Nachricht von der Westküste Amerikas sorgte BMW für einen weiteren Paukenschlag. Der bayerische Autobauer bekam vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) die Ausnahmegenehmigung für seinen Autobahnassistenten. In der Praxis bedeutet dies: Käufer des neuen 5er-Modells können auf der Autobahn bis zu einer Geschwindigkeit von 130 Stundenkilometern die Hände vom Lenkrad nehmen. Der BMW regelt dann vollautomatisch Abstand und Geschwindigkeit, er lenkt auch. Der neue 5er soll ab Oktober auf den Markt kommen, 850 Euro kostet der Autobahnassistent, der als Sonderausstattung erhältlich ist.

Hände vom Steuer

Laut BMW ist diese Art des autonomen Fahrens – im Fachjargon „Level 2 Hands-off-System“ – derzeit bereits in den Modellen der 7er-Reihe in den USA und Kanada möglich. Ist der Autobahnassistent eingeschaltet, können die Fahrer demnach die Hände vom Steuer nehmen, solange sie das Verkehrsgeschehen aufmerksam im Blick behalten. Dies werde laut Auskunft des Herstellers durch eine Innenraumkamera konsequent überwacht. Wer sich eine Unaufmerksamkeit erlaubt, wird optisch und akustisch gewarnt. Folgt keine Reaktion seitens des Fahrers, greift der Nothalteassistent ein und bringt das Auto sicher zum Stillstand. Fortschrittlich zudem: Der selbstfahrende BMW kann einen Spurwechsel vorschlagen, den der Fahrer mit einem Blick in den Außenspiegel bestätigen und freigeben kann.

Meilensteine auf dem Weg in die Mobilität von morgen: Mercedes (links) hat in Kalifornien die Zertifizierung für automatisiertes Fahren auf Level 3 bekommen, BMW (unten) darf Modelle auf Basis des Level 2 Hands-off-Systems in Deutschland auf den Markt bringen.

Wettbewerb der Hersteller


„Die Zukunft der Autobranche liegt in der Aufgabe, Hardware und Software miteinander zu verbinden“, sagt BMW-Chef Oliver Zipse. „Dabei müssen die Hersteller die Hoheit über die Daten wahren und die Kompetenz haben, Systemintegrator zu sein.“ Die Komplexität der Fahrzeuge sei eine Hürde für die Konkurrenz aus der Tech-Branche. „Das Auto ist kein iPhone auf Rädern“, so erklärte Zipse.


Die neuen Möglichkeiten der deutschen Edelproduzenten dürften speziell für Tesla herausfordernd wirken. Schließlich war es Elon Musk, der Chef des US-Herstellers, der bereits vor zehn Jahren verkündete, seine Modelle mittelfristig für das autonome Fahren vorzubereiten. Jeder Tesla, der heute verkauft wird, sei laut Auskunft des Unternehmens bereits mit einem Autopiloten ausgestattet. Allerdings plagt sich der E-Pionier aus Amerika speziell in diesem Bereich mit einer Pannenserie, die seit Jahren die Verlässlichkeit des Systems infrage stellt. Nach mehreren Unfällen im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren ist Tesla bei den amerikanischen Behörden unter Druck geraten, zudem scheint das Image der Firma diesbezüglich einige Kratzer bekommen zu haben.

Es dürfte Musk und seine Topmanager deshalb umso mehr treffen, dass sich Mercedes ausgerechnet im Technologiestaat Kalifornien, in dem das autonome Fahren bereits ein wichtiges Verkaufsargument darstellt, derzeit die Nase vorn hat. Ist es ein Frage der Strategie? Während Tesla die Chips für das komplett eigenständige Fahren selbst entwickelt, setzt Mercedes auf eine Kooperation mit dem amerikanischen Chip-Entwickler Nvidia. Zudem nutzt Tesla nur Kameras für seinen Autopiloten, während Mercedes zusätzlich Lasersensoren einsetzt.

Künstlich intelligent: Hochautomatisiert agierende Fahrzeuge reagieren auch auf unvorhersehbare Ereignisse.

Nur auf Autobahnen


Die kalifornische Verkehrsbehörde hat das Level-3-System des schwäbischen Autobauers allerdings nur unter bestimmten Auflagen zugelassen. Der Drive Pilot darf nur auf Autobahnen, nur bei Tageslicht und nur bei Geschwindigkeiten von umgerechnet bis zu 60 Stundenkilometern in Betrieb genommen werden. Außerdem muss der Fahrer spätestens acht Sekunden, nachdem ihn das Auto dazu auffordert, die Kontrolle übernehmen – sonst bleibt auch der Mercedes stehen.


Neue Möglichkeiten


60 km/h, nur auf Autobahnen – das klingt zunächst eher schmal. Wer jedoch den dichten Verkehr in den kalifornischen Metropolen Los Angeles, San Francisco und San Diego speziell zur Rush-Hour kennt, entdeckt schnell das Potenzial, das in den selbstfahrenden Autos steckt.


Der Drive Pilot gibt dem Fahrer im alltäglichen Guten-Morgen- und Guten-Abend-Zähfluss die Möglichkeit, sein Mobiltelefon zu checken, eine E-Mail zu schreiben oder im Kolonnenverkehr bei einem Video zu entspannen, ohne auf den Verkehr achten zu müssen. Noch in diesem Jahr sollen die ersten Mercedes-Modelle mit dem Drive Pilot in Kalifornien und Nevada ausgeliefert werden.


Auch in Deutschland läuft die Entwicklung des autonomen Fahrens auf Hochtouren. Die Ingenieure aller renommierten Hersteller arbeiten seit Jahren an den Systemen, die automatisiertes und hochautomatisiertes Fahren ermöglichen sollen. Die meisten Zeitpläne sind jedoch überholt oder umgeworfen. Es hakt an der Technik, stets die größtmögliche Sicherheit und Zuverlässigkeit im Fokus, wie auch an der Rechtslage, die sich als äußerst komplex darstellt. Inzwischen ist zumindest der Rechtsrahmen klar gesteckt. Im Mai 2021 haben Bundestag und Bundesrat einem Gesetz zugestimmt, nach dem vollständig autonome Fahrzeuge grundsätzlich am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen dürfen.


Perspektive: weniger Unfälle


Es liegt allerdings an den Herstellern, die Kunden von dieser neuen Art des Autofahrens zu überzeugen. Laut aktuellen Umfragen zweifeln noch rund 45 Prozent der deutschen Pkw-Lenker an der Verlässlichkeit der Technologien, auch plagt sie die Angst vor Hackern, welche das autonome Fahren nachhaltig stören könnte. Die Möglichkeiten, die selbstfahrende Autos mit sich bringen, sind jedoch enorm – für die Gesellschaft als solche und auch gemessen an den Aspekten rund um das Thema Sicherheit.


Jeder Autofahrer bekommt dank der neuen Technik die Chance, jene Zeit, die er im Fahrzeug verbringt, künftig produktiver oder auch zur Entspannung zu nutzen. Zudem können ältere oder leistungseingeschränkte Menschen besser eingebunden werden, speziell im ländlichen Bereich, der über autonom fahrende Busse oder Taxis erschlossen wird. Der Verkehr sollte flüssiger laufen, auch weil Güter effizienter transportiert werden. Je mehr Fahrzeuge automatisiert unterwegs sind, desto weniger werden die Unfälle. Derzeit ist menschliches Versagen noch die Ursache für 90 Prozent aller Verkehrsunfälle. Umso wichtiger ist es, dass die künstlich intelligenten Assistenten höchst zuverlässig agieren.

Technik von morgen : Über Kameras, Sensoren und die entsprechend programmierte Software kommunizieren die autonom fahrenden Autos miteinander.

Im US-Bundesstaat Arizona setzt der Hersteller Waymo bereits Roboterautos als Taxis ein – teilweise ohne Sicherheitsfahrer hinter dem Lenkrad. Die Kunden können ihre Fahrt per App ordern. Es kommt mitunter auch zu skurrilen Begebenheiten, wenn etwa das Roboter-Taxi kurzzeitig rätselt, was es denn konkret machen soll.


Alles voll automatisch


Level 0: Der Fahrer steuert den Wagen komplett selbst.

Level 1: Es gibt Assistenzsysteme wie etwa Abstandsregeltempomaten, die den Fahrer lediglich unterstützen.

Level 2: Teilautomatisierte Systeme können bestimmte Funktionen

übernehmen, etwa Spurführung oder teilautomatisches Einparken.

Level 3: Das (hoch)automatisierte Fahren, bei dem der Fahrer jedoch jederzeit eingreifen können muss.

Level 4: Beim vollautomatisierten Fahren kann der Fahrer noch eingreifen, wenn das System ausfällt, doch im Regelfall übernimmt das Auto alles.

Level 5: Beim autonomen Fahren ist kein Fahrer mehr erforderlich, kein Lenkrad oder sonstige Bedienelemente. Insassen werden zu reinen Passagieren.

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