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Henning Krogh

Interview mit Topmanager Jens Andersen über den Stand der Transformation

Der ehemalige VW-Manager und Berater Jens Andersen über das rasche Aufkommen chinesischer Herausforderer, Versäumnisse des Volkswagen-Konzerns – und den Tank-to-Wheel-Trick.



Sie haben Ihr Berufsleben von 1990 bis 2018 bei VW verbracht, unter anderem als Leiter der Konzern-Technologiestrategie. Heute steckt das Unternehmen tief in der Krise. Wo sehen Sie die Ursachen dafür?


Jens Andersen: Die Ursachen liegen in einer Reihe von strategischen sowie taktischen Fehlentscheidungen vor allem zwischen 2015 und 2022. Der VW-Konzern hatte trotz des Dieselskandals lange eine Position der Stärke inne – bei konventionellen und Hybridantrieben, Baukästen und über Skaleneffekte durch strategisch kluge, ja teilweise geniale Produktentscheidungen. Auf diesen Gebieten war der VW-Konzern zweifellos Weltspitze und ist es in Teilen heute noch. Aber: Eine fundierte und tragfähige Exit-Strategie für die verbrennungsmotorischen Antriebe einschließlich der dazugehörenden Fabriken unter Berücksichtigung des durch den Umstieg auf Elektroantriebe erforderlichen Konsolidierungsprozesses ist nie bekannt geworden.


Offene Worte: Jens Andersen (rechts) analysiert im Gespräch mit electricar-Autor Henning Krogh den Stand der großen Transformation. (Bild: Barbara Kürten)

In Deutschland kommt die E-Mobilität vergleichsweise langsam voran, nicht nur bei VW. Als Grund gilt vielen Beobachtern auch schwere Versäumnisse der Politik. Teilen Sie diese Vorwürfe?


Ja, absolut. Die Elektrifizierung des Individualverkehrs wurde in Brüssel sowohl für die Konsumenten als auch für die europäische Automobilindustrie gründlich vergeigt. Während China seine Industrie maximal und zudem planwirtschaftlich – was wir hoffentlich nicht wollen – unterstützt, wird ausgerechnet hier bei uns planwirtschaftliche Politik gegen die Industrie gemacht. Und zwar mit dem Tank-To-Wheel-Trick. Da werden per EU-Verordnung die weltbesten konventionellen Antriebe stigmatisiert, deren Erlöse gebraucht werden, um den zweifelsfrei zwingend notwendigen Umstieg auf die E-Mobilität querzufinanzieren. Man stellt den Aufbau der Ladeinfrastruktur auf nationaler Ebene nicht sicher und ändert Förderungsstrategien nach aktuellem Kassenstand. Und wundert sich dann, dass EV-Zulassungsziele nicht erreicht, Werke bis in die Zulieferindustrie geschlossen und Fertigungskapazitäten nach China verlagert werden.


Konkurrenz aus Asien: Elektromodelle wie der neue BYD Seal werden offensiv auf dem deutschen Markt angeboten – zumeist gut ausgestattet und preislich attraktiv.

Sie monieren den Tank-To-Wheel-Trick und haben sich selbst jahrelang für den Einsatz von Compressed Natural Gas als alternativen Kraftstoff eingesetzt. Wie passt das zusammen?


Das passte perfekt zusammen, denn für das Klima ist nicht die CO2-Emission am Abgasendrohr, sondern die Bilanz über die gesamte Wertschöpfungskette eines Fahrzeugs relevant. Darauf habe ich bei CNG sehr genau geachtet und in vielen Vorträgen hingewiesen. Die jedoch lediglich auf der Tank-To-Wheel-Bilanz basierende EU-Flottengesetzgebung ist wirklich der Trick der Dekade seitens der EU-Kommission. Diesem fiel ausgerechnet als Erstes der umweltfreundlichste verbrennungsmotorische Antrieb zum Opfer – der mit CNG. Und die investierte Infrastruktur mit einem ordentlichen Tankstellennetz vor allem in Italien und Deutschland wurde von einem Tag auf den anderen quasi wertlos.


Benzin verbrennen CNG-Fahrzeuge zwar nicht – dafür Erdgas.


Abgesehen von der Kaltstartphase ist das korrekt, aber mit einem CNG-Auto fährt man heute in Deutschland wegen des hohen Biomethananteils in der Well-to-Wheel-Bilanz betrachtet nahezu klimaneutral. Und überaus preiswert ist CNG immer gewesen. Das wusste kaum jemand. Wegen der geringen Einbaurate stand diese ökologische Nischenanwendung jedoch bei den verbliebenen Herstellern ganz oben auf der Streichliste – sogar beim Marktführer VW mit den weltbesten CNG-Antrieben. Vor allem wegen der Milliardeninvestitionen in das Breitbandantibiotikum E-Mobilität, das Brüssel wollte und das leider gerade eher schwach wirksam ist, was mich beunruhigt.


Stattdessen will nun etwa Mercedes-Benz seine Benziner- und Dieselmodelle länger als zunächst geplant weiterentwickeln, und BMW-Chef Oliver Zipse fordert eine Revision des Aus‘ für verbrennungsmotorisch angetriebene Fahrzeuge. Wie beurteilen Sie das?


Das ist schon echte Ironie. Herr Zipse verfolgt mit BMW einen technologieoffenen Ansatz, bedient seine Kunden mit hochmodernen Verbrennungsmotoren und ist parallel ausgesprochen erfolgreich bei den batterieelektrischen Fahrzeugen. Ich kann da nur gratulieren. Bis hierher wurde dort alles richtig gemacht. Damit widerlegt Herr Zipse diejenigen, die – teilweise von BMW aus – in die Welt ausgeschwärmt waren, „All-Electric“ predigten und bedeutende Wirtschaftsunternehmen in jene Krise steuerten, in der sie sich gerade befinden. Oder gar Start-Ups in die Pleite.


Kleinwagen für den Massenmarkt: Der ID.2all, im vergangenen Jahr in Hamburg vorgestellt, soll spätestens 2026 erhältlich sein – zum Einstiegspreis von weniger als 25.000 Euro.

Und der VW-Konzern, für den Sie mehr als ein Vierteljahrhundert tätig waren?


Der hatte eine Todesanzeige für verbrennungsmotorische Antriebe vor deren Ableben in die Zeitung gesetzt. Auf Geheiß aus Brüssel und weil es vor allem an Freitagen en vogue war. Ein politisch gewollter, partiell-gesellschaftlich opportuner Technik-Suizid, über den man sich noch heute in Shenzhen und Hangzhou die Hände reibt. Was für ein Desaster. Rationales Handeln sieht anders aus.


Was könnte dies bedeuten für das weitere Ausrollen der E-Mobilität?


Aus der eingangs erwähnten Position der Stärke ist nicht nur VW mittlerweile bei sinkenden Marktanteilen angekommen, vor allem in China, dem größten und wichtigsten Automobilmarkt der Welt. Angekommen ist man als Konzern leider auch bei bemerkenswerten batterieelektrisch angetriebenen Produktfehlschlägen bis hinauf ins Premiumsegment. Bei misslungenen Gründungen von Softwareunternehmen, bei leerlaufenden Fabriken in Europa und drohenden Werksschließungen. Die E-Mobilität wird jedoch weiter ausgerollt werden. Auch und erst recht durch VW. Leider wird dafür nun ein hoher Preis zu zahlen sein.


Neueste Technik: Der Porsche Taycan, produziert im neuen Werk in Stuttgart-Zuffenhausen, setzt inhaltlich neue Maßstäbe – auch was die Lademöglichkeiten anbetrifft.

Der VW-Konzern hat schon manche Schwierigkeiten gemeistert – und war dann stärker als zuvor. Zeichnen Sie hier nicht ein allzu düsteres Bild?


Ein Bild mag Fantasie widerspiegeln, meine Situationsbeschreibung hingegen ist die Summation von jahrzehntelangen Erfahrungen, vielen Fakten und aufmerksamem Verfolgen der Ereignisse. Sie haben aber absolut recht: Strategisch und operativ richtig geführt, und dazu gehört ganz besonders ein integratives Mindset, ist mit diesem multinationalen Unternehmen auf Weltklasseniveau alles erreichbar, das wurde oft genug bewiesen. Die Jahre seit 2015 bis heute waren jedoch maximal durchwachsen. Ein guter Indikator sind die Aktienkursverläufe und die daraus resultierenden Börsenbewertungen der Volkswagen AG und der Porsche S.E.. Bezogen auf die letzten fünf Jahre performt BMW auch hier besser. Trösten können sich die Anteilseigner des VW-Konzerns und die Aufseher des Unternehmens damit, dass dieses noch Umsatzweltmeister vor Toyota ist. Die Betonung liegt auf noch, denn chinesische Unternehmen holen schnell auf. Produktstrategisch stellen sie bei batterieelektrischen Fahrzeugen die meisten Hersteller ohnehin in den Schatten.


AutoWerke in Gefahr: Standorte in Deutschland leiden unter der stockenden Produktion im Segment der Elektroautos. Im VW-Werk in Zwickau (Foto) fällt die dritte Schicht weg, rund 1.200 befristete Arbeitsplätze werden abgebaut.

Den Erfolg der Elektromobilität insgesamt stellen Sie also nicht in Frage?


Nein, ganz im Gegenteil, doch wo sind die technologischen Highlights, die strategischen Meisterleistungen? Wo ist der BEV-Effizienz- und ein Reichweitenweltrekord? Wo die spektakuläre Unternehmensübernahme? Das Modellfeuerwerk chinesischer Hersteller an E-Fahrzeugen sowie die Beteiligungsstrategien von Geely & Co. sind für mich jedenfalls sehr beeindruckend und strategisch klug – und vollziehen sich ohne mediales Tamtam. Während in den Neunziger- und 2000er Jahren die Technologie- und Beteiligungsoffensiven vor allem vom VW-Konzern ausgingen, räumen nun Geely & Co. produktstrategisch und unternehmerisch ab. Übrigens oft mit fachmännischer Unterstützung ehemaliger Topmanager deutscher Unternehmen. Was früher ein Ferdinand Karl Piëch ersann und exekutieren ließ, das führt andernorts heute ein Li Shufu gewissermaßen fort – geräuschlos. Sehr beeindruckend.


Wie lautet Ihr Fazit in drei Sätzen?


Der Umbau der europäischen Automobilindustrie ist noch lange nicht abgeschlossen. Der Ausgang des Spiels ist ungewiss. Und VW geht nicht verloren.


Stratege in Forschung und Technik


Jens Andersen (62) hat an der TU Braunschweig Maschinenbau mit den Schwerpunkten Operations-Research und Fabrikplanung studiert sowie an der TU Berlin promoviert. 1990 trat der gebürtige Lübecker in den Wolfsburger VW-Konzern ein, wo er als Antriebsstratege unter anderem mit der Einführung des Doppelkupplungsgetriebes sowie der MQB-Plattform befasst war. Später war Andersen für VW als Chefprojektleiter in der Forschung und Entwicklung aktiv, als Leiter der Konzern-Technologiestrategie sowie als Konzernbeauftragter für CNG-Mobilität. Seit 2018 ist Andersen als Unternehmer und Consultant tätig.



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