Wer wie der Autor bereits die Dreißig hinter sich gelassen hat, dem ist die Zeit nicht fremd, als die großen Preistafeln an Tankstellen noch nicht digital waren und sich nicht gefühlt im Minutentakt änderten. Bei einer Preisänderung mussten die Spritpreise von Hand geändert werden, der Pächter kletterte dazu auf eine Leiter, nahm die alten Preise ab und hängte die neuen auf kleine Haken.
Ganz anders verhält es sich beim Elektroauto. Auf großen Ladeparks sucht man sofort ins Auge stechende Preistafeln vergebens, im Gegenteil. Der Preis soll so wenig wie möglich Thema sein. Wenn der Kunde erst einmal an der Säule steht, werden wohl nur die wenigsten wieder Reißaus nehmen, sollte der Kilowatt-Preis ihrer Meinung nach zu hoch sein. Tiefenpsychologie ist scheinbar auch bereits beim Laden eines E-Autos angekommen. Außerdem gibt es unzählige, kleinere Ladepunkte im Lande, die auf Hausmauern angebracht wurden oder bei Parkplätzen neben Supermärkten auf kleinem Raum zu finden sind. Da wären große Preistafeln ohnehin deplatziert. Doch wie kann der Kunde dann vergleichen? Was kostet eine Vollladung?
Vergleichen lohnt sich
Nun, das ist in Zeiten von Energiekrise und schwindelerregenden Inflationszahlen sehr schwierig zu beantworten. Eine pauschale Aussage ist nicht zu treffen. Allerdings gibt es ein paar Faktoren, die Sie in jedem Fall auf dem Schirm haben sollten.
Der wesentlichste Punkt ist sicherlich der Verbrauch des Wagens. Wir hatten schon zahlreiche, unterschiedliche E-Autos zum Testen auf dem Hof und vom sparsamen Stromer bis zum verschwenderischen SUV war alles dabei. Daher entscheidet sich vieles bereits beim Kauf. Die Spannweite der Fahrzeugpalette ist riesig, aber der Großteil verbraucht zwischen 15 und 30 kW auf 100 Kilometern.
Gerade in diesem Punkt unterscheiden sich Verbrenner kaum vom Elektrofahrzeug. Es gibt sehr sparsame Ausführungen, die sich mit gerade einmal vier Litern Diesel auf 100 Kilometern durch das Land bewegen – aber auch wuchtige Schleudern, die zehn Liter Super Plus und mehr in die Atmosphäre blasen.
Ein weiterer Faktor ist die Kapazität des Elektromotors. Während kleinere Elektroautos zumeist mit Akkus unterwegs sind, die zwischen 30 und 60 kWh angesiedelt sind, verfügen große Stromer schon mal über eine Batterie, die bis zu 100 kWh an Kapazität bietet. Dass die Befüllung eines großen Akkus teurer ist und in der Regel auch länger dauert als beim Kleinwagen, liegt auf der Hand.
Schnell sein kostet
Daher ist die Quintessenz weder Kapazität, noch Verbrauch oder der Strompreis – sondern das Ergebnis der Rechnung, wie viele Euros für eine festgelegte Wegstrecke ausgegeben werden müssen. Und ganz wesentlich: Wie schnell soll die Energie von der Ladesäule in den Akku fließen. Denn schnelles Laden kostet deutlich mehr, eine Verdoppelung des Preises von der 11 kW- zur 100 kW-Ladesäule ist keine Seltenheit. Überlegen Sie daher gut, wie schnell die Ladung tatsächlich vonstattengehen muss, denn Geduld wird noch mehr mit barem Geld belohnt, als eine passive Fahrweise.
Bei der Suche nach der passenden Ladesäule können Smartphone-Apps helfen, die flächendeckend das Netz abbilden und mit deren Hilfe sich problemlos die passende Säule finden lässt. Reicht der 11 kW-Lader oder soll die Energie mit Highspeed in den Akku? Sie haben es sprichwörtlich in der Hand.
Beispiel gefällig? Während die Kilowattstunde bei einer 11 kW-Säule im Umkreis unserer Redaktion gerade einmal 29 Cent kostet, werden beim 30 Kilometer entfernten 300 kW-Schnelllader satte 79 Cent fällig. Mehr als 2,5 mal so viel. Da lohnt es sich zweifelsohne, den Ladestopp auszudehnen oder vielleicht sogar dann zu laden, wenn der Wagen ohnehin eine Weile nicht bewegt wird. Und eines ist klar: Die Ladedauer ist für Befürworter der E-Mobilität schon lange kein Hinderungsgrund mehr - und die Opposition stößt sich so oder so daran, hat klassische Todschlagargumente immer wieder parat.
Carpe diem
„Wenn das Auto länger an der Säule hängt als es fährt, dann kann das keine Lösung für die Zukunft sein“, haben wir zuletzt in einem Tweet eines Kritikers gelesen. Dabei begehen viele Menschen immer noch den Kardinalfehler, das Laden eines E-Autos mit der Betankung eines Verbrenners samt 60-Liter-Tank gleichzusetzen.
Nein: Laden ist nicht gleich Tanken. Und nicht nur in der Art der Treibstoff- bzw. Energiezuführung, sondern auch in der allgemeinen Wahrnehmung. Ein Tankvorgang findet innerhalb von wenigen Minuten statt, vielleicht noch ein rascher Coffee-to-go auf die Hand und schon ist man wieder unterwegs. Beim Laden ist dies anders. Während der Wagen an der Schnellladesäule hängt, werden E-Mails gecheckt, WhatsApp-Nachrichten geschrieben, Podcasts gehört oder mit dem Autobesitzer an der Nachbarsäule das eine oder andere Schwätzchen abgehalten. Selbst im stressigen Alltag entschleunigt die kurze Pause, die beim Ladevorgang abgehalten wird. 20 Minuten am Schnelllader ermöglichen den meisten Elektroautos mehrere 100 Kilometer Reichweite und dem Fahrzeuglenker eine angenehme Pause, in der nicht nur der Wagen Energie tanken kann.
Stromer vs. Verbrenner: VW ID.3 vs. VW GOLF 8
Vergleicht man den VW ID.3 mit dem Golf 8, so zeigt sich, dass die Treibstoff- bzw. Strompreise auf 100 Kilometer ziemlich divergieren. Der Verbrenner braucht rund 5,1 Liter Diesel auf 100 Kilometern, was einen Treibstoffpreis von 10,86 Euro ergibt - bei einem Dieselpreis von aktuell 2,13 Euro pro Liter.
Beim Elektroauto ID.3 Pro mit einem Verbrauch von 16,2 kWh/100 km hat es der Fahrzeuglenker hingegen in der eigenen Hand, wie viel er ausgibt. Beim Schnelllader (79 Cent für die Kilowattstunde) werden für 100 Kilometer Reichweite 12,80 Euro fällig. Wer sich jedoch in Geduld übt und bei der 11 kW-Säule lädt, bekommt für 4,70 Euro die gleiche Menge an Strom. Und wer zuhause etwa mit 20 Cent pro KWh auflädt, kommt gar nur auf 3,24 Euro. Wir wollen jedoch auch festhalten, dass der Strompreis in der momentanen Situation ziemlich unberechenbar ist, wie auch die Preisgestaltung der unterschiedlichsten Ladesäulenbetreiber.
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